L’Inconnue de la Seine – die Unbekannte aus der Seine

Ich habe sie wiedergefunden, und bin ganz aufgeregt weil ihre Geschichte so ist: Sie war zur ihrer Zeit ein Star, wenn auch nur posthum. Sie wurde ihres Lächelns wegen oft kopiert, und fand so ihren Weg nicht nur in diese Ausstellung, sondern auch an Wände von Künstleratteliers und in die Lyrik von Rainer Maria Rilke:

Der Mouleur, an dem ich jeden Tag vorüberkomme, hat zwei Masken neben seiner Tür ausgehängt. Das Gesicht der jungen Ertränkten, das man in der Morgue abnahm, weil es schön war, weil es lächelte, weil es so täuschend lächelte, als es wüßte.

So aus den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Rilkes einziger Roman (1910).

Dieser „urban legend“ nach wurde ihre Leiche um 1900 in Paris aus der Seine gezogen. Sie zeigte keine Spuren von Gewalt, so dass sie als Selbstmörderin galt. Zu dieser Zeit wurden die Unbekannten in der Leichenschauhalle  hinter Notre-Dame, am östlichen Ende der Ile de la Cité, öffentlich aufgebahrt, in Hoffnung auf Identifizierung.  Ein Mitarbeiter der Leichenschauhalle war von ihrer Schönheit so angetan, dass er einen Gipsabdruck ihres Gesichts nahm. Er ließ die Totenmaske anfertigen, von der in den folgenden Jahren zahlreiche Abdrücke gemacht wurden. Sie inspirierte nicht nur Rilke, sondern auch Albert Camus, Louis-Ferdinand Céline, Anais Nin, und Vladimir Nabokov (leider nur auf Russisch).

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Bis dann in den 20ern und frühen 30ern jeder Student der was auf sich hielt ihr Gesicht an der Wand hatte. Ein richtiger Hype war losgetreten, und solangsam wird’s mir etwas unangenehm dass ich auch ihrem Charme erlegen bin. Ein sentimentales Buch von Reinhold Conrad Muschler Die Unbekannte von 1934, in dem sie dann ins Wasser geht nach einer unglücklichen Liebe – sie Waise, er englischer Lord. „Ihr Antlitz lächelte verklärt als man sie fand.“ (Quelle)

Dabei ist es fragwürdig, ob sich von einer Wasserleiche ein Abdruck von dieser Qualität möglich ist. Einer anderen Geschichte nach soll sie Valerie heissen, zum Zeitpunkt der Maske quicklebendig gewesen sein, und aus St.Petersburg stammen.

Wie auch immer, die Geschichte wird spätestens dann absurd als in den 1960ern der norwegische Spielwarenfabrikant Laerdal ausgerechnet die Totenmaske einer Wasserleiche für Resusci-Anne zum Vorbild nimmt: Sie wird zur standardisierten Puppe, eingesetzt zum Erlernen und Trainieren der Herz-Lungen-Wiederbelebung im Rahmen der Ersten Hilfe. Wieviele Küsse von Führerscheinanfängern mag sie bekommen haben?

Quelle: http://www.williamgaddis.org/recognitions/inconnue/index.shtml und natürlich Wikipedia.

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